Neo Rauch ist einer der weltweit erfolgreichsten deutschen Maler seiner Generation. Seine Bilder faszinieren durch ihren rätselhaften Realismus, die Figuren scheinen wie aus der Zeit gefallen. Schlafwandlerisch gehen sie ihren Tätigkeiten nach. Das, was der Maler auf der Leinwand zeigt, bewegt sich zwischen Traum, Phantasie und schwer greifbarer Wirklichkeit, zugänglich und eigenwillig zugleich. Nie ist das Bildgeschehen eindeutig oder konkret – und doch zieht es den Betrachter in seinen Bann.
Regisseurin & Produzentin Nicola Graef
Die Bilder von Neo Rauch haben mich schon immer fasziniert. Vor allem, weil sie mich seltsam berührten und ich oft nicht genau verstand, warum. Seine Figuren sind meist abgewandt, mit sich beschäftigt, emotional entrückt. Was ist das für eine Welt? Wer sind diese Menschen? Was haben sie mit mir zu tun? Seine Bilder stellen mir Fragen, lassen mich oft ratlos zurück, aber sie fordern mich: Schau mich an und sage mir, was du siehst. Aber bitte schau genau hin, nimm dir Zeit. Es ist etwas in diesen Bildern verborgen, ganz leise. Nicht von dieser Welt und doch mitten in ihr. Das ist es, was mich ganz grundsätzlich begeistert an guter zeitgenössischer Kunst: schauen, nicht verstehen, noch mal schauen, wirken lassen, Antworten suchen, nachdenken. Schon vor vielen Jahren sprach ich erstmals mit Judy Lybke, Inhaber der Galerie EIGEN + ART, über die Möglichkeit,einen Dokumentarfilm mit und über Neo Rauch zu realisieren. Er winkte ab und meinte, da hätte ich keine Chance. Neo Rauch würde die Medien, insbesondere die Kamera meiden. Schade, dachte ich. Aber die Malerei verfolgte mich. Also probierte ich es weiter und fragte nach. Doch ich bekam immer eine Absage. Schließlich überlegte ich, ob es nicht auch denkbar wäre, einen Film über Neo Rauch ohne Neo Rauch zu machen. Eintauchen in seine Bildwelten mit den Menschen, die ihn als Sammler begleiten oder die mit seinen Werken sehr vertraut sind, wie seine Galeristen oder seine Lithografen. Vor allem reizte mich auch die Frage, was internationale Sammler aus verschiedenen Kulturen über seine Kunst denken, warum sie sich für diese Malerei entschieden hatten. Darüber sprach ich 2013 erneut mit Judy Lybke und stieß auf offene Ohren. Das sei doch eine gute Möglichkeit, seine Bilder aus verschiedenen Perspektiven kennenzulernen, aber ohne den Künstler in eine Situation zu bringen, der er skeptisch gegenüber stünde. Und wer wisse das schon, vielleicht würde es ja doch irgendwann mit einem Interview klappen. Na, das war doch was. Ich sprach mit meiner MDR Redakteurin Katja Wildermuth und sie sagte: Wir probieren das!
Doch es gab noch eine Hürde. Ich brauchte Neo Rauchs Zustimmung, seine Bilder zu zeigen. Also fuhr ich zu einer Eröffnung nach Aschersleben in seine Grafikstiftung. Zugegeben etwas nervös, da mir auch die Galerie deutlich machte, man müsse den richtigen Zeitpunkt abpassen, ihn anzusprechen. Als ich Neo Rauch dann einen Moment lang zufällig alleine in den Räumen stehen sah, stellte ich mich vor und gab ihm ein Buch. „Der Distelfink“ von Donna Tartt. „Das liest gerade meine Frau.“ Kein schlechter Einstieg, dachte ich. Es folgten mehrere Treffen ohne Kamera in seinem Atelier, oft auch zusammen mit seiner Frau Rosa Loy. Ich hatte immer ein Buch für ihn dabei. Neo Rauch ist ein großer Leser und die Leidenschaft fürs Wort verband uns von Anfang an. Irgendwann fingen wir mit den Dreharbeiten an. Im Atelier. Das, was nie geplant war. Wir waren einfach da und Neo Rauch ließ es geschehen. Ein Vertrauensbeweis, der mich sehr berührte. Ein Kamerateam in diesem privaten Raum zuzulassen – und das Atelier ist für einen Künstler ein solcher Raum – ist etwas Besonderes. Zurückhaltend sein, als ob man fast nicht da ist, das war für uns von Anfang an selbstverständlich. So entwickelte sich unsere Zusammenarbeit. Langsam, aber stetig und immer mit der Zuwendung zum Bild. Genau beobachten, offen formulieren, was ich sah oder nicht sah, eröffnete oft das Gespräch. Im Laufe der fast drei Jahre, in denen dieser Film entstanden ist, wurden wir eine kleine, eingeschworene Gemeinschaft – das Team, Neo Rauch und Rosa Loy. Neo Rauch hat mir ermöglicht, womit ich nie gerechnet hatte: Ich konnte einfach im Atelier sein und ihn beim Malen beobachten, sehen, wie ein Bild entsteht. Für mich die schönsten Momente der Dreharbeiten. Aus dem Nichts wird eine Welt geschaffen. Ich freue mich ungemein, dass Neo Rauch mir diesen Film ermöglicht hat, bin dankbar, dass Rosa Loy dazu beigetragen hat, ihn davon zu überzeugen und nicht zuletzt gilt mein Dank auch meiner MDR-Redakteurin Katja Wildermuth, die sich auf das Risiko eingelassen hat und mir vertraute, dass das mit dem Interview schon irgendwie klappen würde. Nun ist es so viel mehr geworden. Ein Film über Neo Rauch mit Neo Rauch.
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