BALTHUS
2. September 2018 – 1. Januar 2019
Mit der Ausstellung Balthus präsentiert die Fondation Beyeler einen der letzten grossen Meister der Kunst des 20. Jahrhunderts, der zugleich zu den singulärsten und kontroversesten Künstlern der Moderne zählt. Ausgangspunkt für diese umfangreiche Präsentation, die seit Mitte 2016 in Planung ist, bildet Balthus’ Hauptwerk Passage du Commerce-Saint-André von 1952 bis 1954, das sich als Dauerleihgabe einer grossen Schweizer Privatsammlung seit vielen Jahren in der Fondation Beyeler befindet.
In seinem facettenreichen und mehrdeutigen Schaffen, das ebenso Verehrung wie Ablehnung erfährt, verfolgt Balthus, mit vollem Namen Balthasar Klossowski de Rola (1908–2001), einen künstlerischen Weg, der alternativ, ja geradezu entgegengesetzt zu den Entwicklungen moderner Avantgarden und den gängigen Vorstellungen davon verläuft. In dieser Abkehr bezieht sich der exzentrische Maler auf eine Vielzahl kunsthistorischer Traditionen und Vorläufer, die von Piero della Francesca über Poussin bis hin zu Füssli, Courbet und Cézanne reichen. Zugleich sind bei näherer Betrachtung aber auch Impulse moderner Kunstbewegungen, namentlich etwa der Neuen Sachlichkeit sowie des Surrealismus auszumachen, in deren Kontext sich Balthus’ teilweise provokante Bildinszenierungen und damit die abgründige Dimension seiner Kunst einordnen lassen. In seiner beinahe als postmodern zu beschreibenden, grundsätzlichen Distanzierung von der Moderne entwickelt er jedoch zugleich seine ganz eigene Form von Avantgarde, die heute umso zeitgenössischer erscheint. Tatsächlich erweist sich Balthus als Künstler des Widerspruchs und der Irritation, in dessen ebenso ruhevollen wie spannungsreichen Werken Gegensätze aufeinandertreffen, die Wirklichkeit und Traum, Erotik und Unbefangenheit, Sachlichkeit und Rätselhaftigkeit sowie Vertrautes und Unheimliches auf einzigartige Weise verbinden. Insbesondere in dieser Kontrastsetzung kombiniert Balthus Motive der Kunsttradition mit Elementen populärer Kinderbuchillustrationen des 19. Jahrhunderts. So sind seine Bilder auch fortwährend von expliziten und impliziten Aspekten der Ironie durchdrungen und reflektieren und befragen nicht zuletzt auf diesem Weg darstellerische und ästhetische Möglichkeiten und Unmöglichkeiten der Kunst des 20. Jahrhunderts und darüber hinaus. Paradoxe zeichnen auch die Person Balthus aus, der sich als Künstler in einem Gestus der Bescheidenheit a priori als «Handwerker» verstanden wissen wollte und zugleich die Pose und den Status des intellektuellen Aristokraten einnahm, der im engen Austausch mit grossen Philosophen, Literaten, Theaterleuten und Filmschaffenden seiner Zeit stand. So changierte sein langes, nahezu das gesamte 20. Jahrhundert durchlaufendes Leben fortwährend zwischen Askese und Mondänität.
Den Künstler verband eine enge Beziehung zur Schweiz. Er verbrachte seine Kindheit in Bern, Genf und Beatenberg, heiratete die Bernerin Antoinette de Watteville und lebte mit ihr in der französischen wie deutschen Schweiz. Im imposanten Grand Chalet in Rossinière verbrachte er schliesslich die letzten Jahrzehnte seines Lebens. Auch verband ihn seit den 1930er-Jahren eine tiefe Freundschaft mit Alberto Giacometti, den Balthus als Künstler überaus schätzte.
Die retrospektiv angelegte Ausstellung in der Fondation Beyeler ist die erste zu Balthus’ Werk in einem Schweizer Museum seit zehn Jahren und die erste umfangreiche Präsentation seines Schaffens in der deutschsprachigen Schweiz überhaupt. In ihr sind 40 zentrale Gemälde aus sämtlichen Schaffensphasen des Künstlers von den 1920er-Jahren bis in die 1990er-Jahre vereint, die gleichsam die Quintessenz von Balthus’ langem, dennoch aber nur rund 350 Werke umfassendem malerischen Œuvre vor Augen führen.
Zu den Höhepunkten der Ausstellung gehören unter anderem Gemälde wie La Rue von 1933, das eine Pariser Strassenszene darstellt, in der rätselhafte Figuren wie auf einer Theaterbühne in ihren Posen erstarrt erscheinen. Dieser Stillstand, den Handlungen in Balthus’ Werken erfahren, wird auch in Les Enfants Blanchard von 1937 bildlich, das 1941 von Pablo Picasso erworben wurde, mit dem Balthus
befreundet war. La Jupe blanche von 1937 ist das wohl schönste Porträt, das Balthus von seiner ersten Ehefrau Antoinette de Watteville gemalt hat. Le Roi des chats von 1935 ist eines der seltenen Selbstbildnisse, in dem sich der damals 27-jährige Balthus in einer selbstsicheren Haltung als eleganter Dandy mit Katze präsentiert. In Balthus’ Leben und Werk spielen Katzen eine wichtige Rolle. Immer wieder tauchen sie in seinen Gemälden auf, nicht selten als Alter Ego des Künstlers. Mit La Partie de cartes (1948–1950) zeigen wir ein besonders spannungsgeladenes Werk, das nur selten ausgeliehen wird. Zu sehen ist auch das Porträt Thérèse rêvant von 1938, das in jüngster Zeit international Aufsehen erregt hat. Es ist eines der ersten und prominentesten Beispiele für Balthus’ charakteristische Darstellungen von Mädchen an der Schwelle zum Erwachsenwerden, die eine schwer fassbare Spannung zwischen kindlicher Unbekümmertheit und verführerischer Erotik bergen. Im monumentalen Passage du Commerce-Saint-André (1952–1954) verdichtet sich in besonderem Masse Balthus’ intensive und weitreichende künstlerische Beschäftigung mit der Visualisierung von räumlichen wie zeitlichen Dimensionen und deren Verhältnis zu Bildfigur und -objekt – Grundaspekte von Balthus’ Œuvre.
Im Kontext ihrer Präsentation in der Fondation Beyeler bilden Balthus’ Werke als Vertreter einer gleichsam «anderen» Moderne einen regelrechten Kontrapunkt zu jenem Begriff der Moderne, der Ernst und Hildy Beyeler bei ihrer Sammeltätigkeit leitete, und erweitern und vervollständigen somit in gewisser Weise die Perspektive auf die moderne Kunst innerhalb des Museums. Obgleich Balthus nicht in der Sammlung des Ehepaars Beyeler vertreten ist, sind mehrere bedeutende Werke des Künstlers über ihre Galerie verkauft und vermittelt worden, darunter das skandalös-legendäre Gemälde La Leçon de guitare von 1934 sowie Jeune fille à la fenêtre von 1957 und die 1964 entstandene Version von Les Trois Sœurs.
Eine Ausstellung zu Balthus stellt für ein Museum eine besondere Herausforderung dar. Bis heute wird der Künstler oft mit seinen Darstellungen junger Mädchen und Frauen assoziiert, deren Anblick beim Publikum immer wieder Unbehagen und dementsprechende Debatten über künstlerische und darstellerische Grenzen ausgelöst hat und auslöst. So sorgte in jüngster Vergangenheit Balthus’ bedeutendes Gemälde Thérèse rêvant von 1938 im Metropolitan Museum of Art in New York für öffentliche Aufregung, als im November 2017 in einer Online-Petition aufgrund der erotischen Konnotation des Bildes dessen Abhängung beziehungsweise Neukontextualisierung gefordert wurde. Obgleich die Petition auf breite Resonanz stiess, liess das Metropolitan Museum das umstrittene Werk hängen. Inmitten dieser Kontroverse reist das Gemälde nun unter veränderten Vorzeichen bei uns an und erlangt Symbolstatus für eine wieder entfachte Kulturdebatte.
Auch diese Balthus-Retrospektive soll zu Diskussion und Reflexion über die Möglichkeiten und Funktionen der Kunst anregen. So zeichnet sich Kunst in besonderem Masse durch Ambivalenz und eine Vielfalt von Perspektiven auf die Welt aus, die jenseits des Guten und Schönen auch abgründige, unkonventionelle, irritierende und provokative Aspekte mit einschliessen, die ebenso zur Fantasie des Menschen und zur Wahrheit des menschlichen Daseins gehören. Dieser Facettenreichtum nicht nur der Kunst, sondern der Welt überhaupt muss gerade im Museum erschlossen und kritisch vermittelt werden, um den Betrachter zum Nachdenken und zu Fragen anzuregen. Gerade die Vielschichtigkeit von Balthus’ Werk leistet einen wichtigen Beitrag zu dieser essentiellen reflexiven Dimension der Kunst als freie Ausdrucksform.
Die Ausstellung wird von einem umfassenden Vermittlungsangebot begleitet. Dieses reicht von einer hochkarätig besetzten Podiumsdiskussion bis zu Sonntagsführungen, in deren Anschluss die Gelegenheit zu Diskussion und Gespräch besteht. Eine Kommentarwand im Museum wird Stimmen Pro und Contra reflektieren und auch dem Besucher ermöglichen, sich einzubringen. In den Museumsräumen werden Kunstvermittler den Besuchern als Gesprächspartner zur Verfügung stehen.
Für die umfangreiche Retrospektive konnte die Fondation Beyeler eine Vielzahl von wertvollen Leihgaben international bedeutender Museen gewinnen, darunter das Metropolitan Museum of Art und das Museum of Modern Art in New York, das Centre Pompidou in Paris, das Hirshhorn Museum in Washington und die Tate in London. Zahlreiche bedeutende Werke aus europäischen, amerikanischen und asiatischen Privatsammlungen, die der Öffentlichkeit sonst nicht oder nur selten zugänglich sind, werden in der
Ausstellung zum Teil zum ersten Mal zu sehen sein. Die Ausstellung wurde von Dr. Raphaël Bouvier, Kurator, und Michiko Kono, Associate Curator, kuratiert.
Der im Hatje Cantz Verlag erschienene Ausstellungskatalog bietet aufschlussreiche Texte der Kunsthistoriker Olivier Berggruen, Yves Guignard und Juan Ángel López-Manzanares rund um das Leben und Wirken des Künstlers. Herauszuheben ist der persönliche Artikel des Filmemachers und Fotografen Wim Wenders, der mit Balthus und dessen Familie eng befreundet war. Beate Söntgen, Professorin für Kunstgeschichte, setzt sich mit den Mädchenbildern von Balthus auseinander. Diesem viel diskutierten Thema widmet sich ebenfalls Michiko Konos Text, der die weiblichen Figuren in seinen Werken thematisiert. Raphaël Bouvier zeigt in seinem Artikel die vielfältigen Aspekte der Zeit, die sich in Balthus’ künstlerischer Konzeption eröffnen und in seinem gesamten Schaffen anschaulich werden.
Diese Balthus-Retrospektive ist in Kooperation mit dem Museo Nacional Thyssen-Bornemisza in Madrid, einem der renommiertesten Museen Spaniens, entstanden. Dort wird die Ausstellung Anfang des nächsten Jahres in adaptierter Form zu sehen sein.
Die Ausstellung «Balthus» wird unterstützt durch:
Beyeler-Stiftung
Hansjörg Wyss, Wyss Foundation
L. & Th. La Roche Stiftung Vera Michalski-Hoffmann
Text: Fondation Beyeler
Fotos:
BALTHUS, THÉRÈSE, 1938
Öl auf Karton auf Holz, 100.3 x 81.3 cm
The Metropolitan Museum of Art, New York, Vermächtnis Mr. und Mrs. Allan D. Emil, zu Ehren von William S. Lieberman, 1987
© Balthus, Foto: The Metropolitan Museum of Art/Art Resource/Scala, Florenz
BALTHUS, LA PARTIE DE CARTES, 1948 – 1950
Öl auf Leinwand, 139.7 x 193.7 cm
Museo Nacional Thyssen-Bornemisza, Madrid
© Balthus