MIT EINER GROSSANGELEGTEN BI-NATIONALEN SCHAU FEIERT DAS MUSEUM FRIEDER BURDA SEIN 15-JÄHRIGES BESTEHEN SOWIE SEINE ENGE BEZIEHUNG ZUM NACHBARLAND
Erstmalig seit 1998 präsentiert das Centre Pompidou Teile seiner Sammlung im Dialog mit einem anderen Museum und dessen Bestand. Persönliche Beziehungen, historische Verbindungen und die topografische Nähe: Das Museum Frieder Burda, schon immer in engem Kontakt mit französischem Kultur- und Kunstschaffen, freut sich auf diesen hochkarätigen Austausch, in dessen Fokus große Namen wie Pablo Picasso, Gerhard Richter, Georg Baselitz, Sigmar Polke, Andreas Gursky und andere Künstler stehen. Die Ausstellung, die rund 100 Werke aus beiden Sammlungen präsentiert, trägt bezeichnenderweise den Titel ENSEMBLE – übersetzt „gemeinsam“.
Kuratiert von Brigitte Leal, der stellvertretenden Direktorin des Musée national d’art moderne im Centre Pompidou, und mit hochkarätigen Leihgaben aus Paris ausgestattet, initiiert Ensemble ein Zusammenspiel zwischen den Sammlungen beider Häuser. Dabei entwickelt die Ausstellung einen komplexen Dialog zwischen deutschen und französischen Positionen. Meisterwerke deutscher Expressionisten, wie dem 1914 in der Champagne gefallenen August Macke, begegnen Werken der Väter der französischen Moderne: Pierre Bonnards spätes, sehr verletzlich wirkendes Selbstportrait im Spiegel (1939-45) oder Pablo Picassos Le Rocking-Chair (1943) sprechen von Zweifel und Isolation während der deutschen Besatzung. In Marc Chagalls Gemälde La Dimanche (1952-1954) verbinden sich Poesie und Spiritualität, was sein Werk im Nachkriegsdeutschland so ungeheuer populär machte. Zugleich hallt darin aber auch die für immer verlorene jüdische Kultur Osteuropas nach.
Georg Baselitz, Sigmar Polke und Gerhard Richter sind zentral für die Sammlung Frieder Burda. Sie setzten sich, wie später auch Anselm Kiefer, kritisch mit der verdrängten deutschen Vergangenheit, aber auch mit der Medien- und Erinnerungskultur auseinander – und legten damit den Grundstein für den internationalen Siegeszug deutscher Malerei. Zu ENSEMBLE steuert das Centre Pompidou spektakuläre Werke dieser großen „Malerheroen“ bei – wie Kiefers gigantisches Tableau Das Geheime Leben der Pflanzen (2001-2002) oder Baselitz’ berühmt-berüchtigtes Frühwerk Ralf III (1965).
Ein spezielles Highlight und weiteres Feld deutsch-französischen Austauschs bildet die Sektion zur Fotografie der Moderne. Wird Paris in der Zwischenkriegszeit zum Zentrum einer Neuen Fotografie, so sind es gerade Immigranten aus Deutschland, Ungarn, Europa und der Welt – und nicht selten Fotografinnen wie Germaine Krull, Marianne Breslauer oder Ilse Bing –, die ihre Sichtweisen in die große Bildmaschine Paris einspeisen, darunter auch exzentrische Modefotografen wie Erwin Blumenfeld, oder in Deutschland ausgebildete Lichtbildner wie René Zuber und Florence Henri.
Doch bei weitem keine Einbahnstraße, findet der Austausch seine Fortsetzung in den Arbeiten französischer Fotografen, wie jene Maurice Tabards, die auf der bedeutenden Ausstellung „Film und Foto“ 1929 in Stuttgart zu sehen waren.
ENSEMBLE vereint ihre Werke mit Andreas Gurskys Paris-Aufnahme von 2003, in der er der Avantgarde seine Referenz erweist. – Eine Präsentation von Arbeiten des französischen Street Art Künstlers JR, der 2014 für das Museum in der Stadt Baden-Baden gearbeitet hatte, und die Frieder Burda daraufhin teilweise erworben hatte, schließt den Reigen ab.
Damit eröffnet das partnerschaftliche „Ensemble“, das ganz im Sinne von Frieder Burda von einem grenzübergreifenden Ideal getragen wird, die Debatte über eine europäische Geschichte der Kunst und der Ideen und feiert noch einmal – mit allen gebotenen Zwischentönen – den Triumph der Figur des Künstlers.
Zur Geschichte der deutsch-französischen Beziehungen in Baden-Baden
Schon immer war Baden-Baden ein Ort, an dem die deutsch-französische Freundschaft aktiv gelebt und praktiziert wurde. Hier fanden die Friedensverhandlungen zwischen beiden Ländern nach dem 2. Weltkrieg statt. Hier war eine zentrale Schaltstelle der französischen Besatzungspolitik und ihres Anspruchs, durch Kultur und Kunst zur Versöhnung beizutragen. Hier fand auch Frieder Burda in der direkten Nähe zum Nachbarland und dem von dort inspirierten Savoir Vivre den besten Ausgangspunkt, seiner Liebe zu Frankreich Ausdruck zu verleihen.
Das 15-jährige Bestehen des Museum Frieder Burda bietet daher eine gute Gelegenheit, diese gelebte Freundschaft zu feiern. Als frankophiler Kunstsammler pflegt Frieder Burda schon lange freundschaftliche Beziehungen zum Centre Pompidou, in dessen Ankaufskommission er als erster und einziger Deutscher vertreten war. Frieder Burda dazu im Vorwort des Katalogs: „Die Spiegelung der beiden Sammlungen, die Gegenüberstellung einzelner Werke deutscher und französischer Künstler zeigt, wie sehr die Kunst verbindet, sich über Grenzen hinweg positiv beeinflusst und ergänzt.“ Und weiter: „Das macht mich froh und bestärkt mich im Glauben an das universell Verbindende der Kunst, ihre Gültigkeit und ihr Bestehenbleiben über alle Krisen hinweg.“
Und Henning Schaper, Direktor des Museum Frieder Burda, ergänzt: „In den heutigen Zeiten hat der bi-nationale kulturelle Austausch nicht nur die Aufgabe, Meisterwerke aus verschiedenem Bestand dem gegenseitigen Publikum zugänglich zu machen. Ein solches Projekt hat auch einen symbolischen Charakter, wenn es darum geht, die Verflechtungen beider Kultur- und Kunstnationen innerhalb eines modernen Europas aufzuzeigen.“
Zum Konzept der Ausstellung von Brigitte Leal
Ausgestattet mit hochkarätigen Leihgaben aus Paris, initiiert Ensemble ein Zusammenspiel zwischen den Sammlungen beider Häuser. Dabei entwickelt die Ausstellung einen komplexen Dialog zwischen deutschen und französischen Positionen: Der Bogen reicht von Pierre Bonnard, Pablo Picasso und Marc Chagall bis zu den großen deutschen Meistern der letzten Dekaden wie Georg Baselitz, Sigmar Polke, Gerhard Richter und Anselm Kiefer. Drei Leitlinien waren für Brigitte Leal bei der Auswahl der Werke und dem Rundgang in dem lichterfüllten, nach Entwürfen des Architekten Richard Meier errichteten Museumsbau bestimmend:
Resonanzen
Mehr unter ästhetischen als unter historischen Gesichtspunkten werden einige große französische und deutsche Meister der klassischen Moderne gespiegelt. Der Bereich Resonanzen veranschaulicht durch die Verbindungen zwischen Pierre Bonnard und August Macke oder Max Beckmann und Marc Chagall die Beständigkeit und Stärke der künstlerischen Affinitäten, die Deutschland und Frankreich trotz der Kriege und Tragödien, die sie getrennt haben, vereinten.
Konfrontationen
Bilder und Skulpturen großer deutscher zeitgenössischer Künstler aus beiden Sammlungen werden einander gegenübergestellt. Hier sind die Namen der grosten Maler unserer Zeit vertreten: Georg Baselitz, Anselm Kiefer, Markus Lupertz, A. R. Penck, Sigmar Polke, Gerhard Richter und der Fotograf Andreas Gursky. Künstler der gleichen Generation, von denen einige unter dem flüchtigen Banner des „kapitalistischen Realismus“ zusammengefasst waren, deren unterschiedliche und starke Identitäten sich aber von der Fiktion eines einheitlichen nationalen Stils bewahrt haben. Gestützt von allen möglichen formalen Erfahrungen, die Malerei, Skulptur, Collage, Film, Fotografie und ihre hybriden Werke, die heterogene Quellen und widersprüchliche, manchmal provokante Universen vermischen, haben sie eines gemeinsam: Sie hinterfragen den aktuellen Status von Bildern und die Mehrdeutigkeit der Repräsentation.
Auslese
Seit Erfindung der Fotografie war Paris immer eines ihrer lebendigsten Zentren. Kein Wunder, dass die traditionsreiche Pariser Kunstinstitution eine umfangreiche Fotografie-Sammlung besitzt. Eine Auswahl für Baden-Baden wurde nun von dem deutschen Kurator und Fotografie-Experten am Centre Pompidou, Florian Ebner, kuratiert. Aus den Beständen des Cabinet de la Photographie des Musée national d’art moderne hat er ein Konvolut von Bildern deutscher und französischer Fotografinnen und Fotografen zusammengestellt, die in den 1930er-Jahren in Paris tätig waren. So finden sich im Zwischengeschoss des Museums Fotografien von Künstlern wie Ilse Bing, Marianne Bresslauer, Erwin Blumenfeld, Florence Henri, Germaine Krull, Maurice Tabard und René Zuber, die in Baden-Baden die Pariser Atmosphäre zwischen den beiden Weltkriegen zeigen.
Der fotografische Teil, kuratiert von Florian Ebner
Fotografische Grenzgänge zwischen Frankreich und Deutschland in der Zeit zwischen den Weltkriegen: So wie man für die Malerei von einer École de Paris spricht, so gab es in den Jahren zwischen den großen Weltkriegen auch eine internationale „Fotoklasse“ in der französischen Hauptstadt. In ihr fand man eine große „communauté allemande“, darunter nicht zuletzt viele junge Frauen, die eine Neue Fotografie praktizierten.
Die revolutionserfahrene und mit allen Wandlungen der Weltgeschichte vertraute Germaine Krull kommt Mitte der 1920er-Jahre in Paris an und wird zur führenden Fotografin des neu gegründeten Magazins VU. Die aus jüdischen Familien stammenden Ilse Bing und Marianne Breslauer entdecken die Fotografie als Medium der beruflichen und sozialen Emanzipation für sich. Die ehemalige Kunstgeschichtsstudentin Bing und die am Berliner Lette-Verein ausgebildete Breslauer sind nicht nur begeistert von der klassischen Ikonografie der französischen Hauptstadt, sondern auch von Paris als Blickdispositiv einer modernen Fotografie, von den Quais der Seine und der Eleganz der Mode.
Die fotografischen Grenzgänge zwischen Deutschland und Frankreich sind jedoch nicht nur eine Einbahnstraße. Die Pianistin und an Fernand Legers Académie moderne Malerei studierende Florence Henri besucht im Sommer 1927 den Vorkurs am Dessauer Bauhaus, wo sie von Josef Albers und Laszlo Moholy-Nagy in die Fotografie eingeführt wird, und der junge Elsässer René Zuber studiert an der Staatlichen Akademie für graphische Künste und Buchgewerbe in Leipzig. Beide bringen die Sichtweisen eines Neuen Sehens und einer Neuen Sachlichkeit bei ihrer Rückkehr nach Frankreich mit und entwickeln sie dort weiter.
Mitte der 1930er-Jahre verlässt der gebürtige Berliner Dadaist Erwin Blumenfeld die Niederlande, wo er als Lederwarenfabrikant gearbeitet hatte, um sein Glück mit viel Erfolg in der Modefotografie in Paris zu finden. In dieser Zeit werfen der Nationalsozialismus und der Faschismus ihre langen Schatten bereits über Europa, und lassen den produktiven Austausch der europäischen Fotoavantgarden vergessen, bis er in den großen Ausstellungen zur Subjektiven Fotografie in den 1950er-Jahren wieder zum Vorschein kommt.
Text: Museum Frieder Burda · Lichtentaler Allee 8b · 76530 Baden-Baden Telefon +49 (0)7221 39898-0 · www.museum-frieder-burda.de
Foto: Sigmar Polke, Kinderspiele, 1988, Collection Centre Pompidou, Paris, Musée national d’art moderne – Centre de création industrielle, Geschenk der Société des Amis du Musée national d’art modern, 1989 © The Estate of Sigmar Polke, Köln / VG Bild-Kunst, Bonn 2019; Foto: Centre Pompidou, MNAM-CCI/Philippe Migeat/Dist. RMN-GP