Martin Sander Menschenbilder
Martin Sander, Jahrgang 1969, lebt und arbeitet als freischaffender Künstler in Offenburg. Er malt seit 25 Jahren.
2001 hatte er sein DEBUT im Kunstverein Offenburg-Mittelbaden, heute ist er dessen Geschäftsführer.
Er kann eine rege Ausstellungstätigkeit im In- und Ausland vorweisen, sowohl in Gruppen als auch Einzelpräsentationen.
Martin Sanders Menschenbilder sind Portraits, von ihm unbekannten Personen.
Es sind Ölgemälde, die nach Handy-Fotos gemalt wurden.
Die dargestellten Personen haben offensichtlich von den Aufnahmen nichts mitbekommen. Sie gehen ihren Weg, fühlen sich unbeobachtet. Es sind Situationen, wie sie jeden Tag, jede Stunde, jede Minute auf der Straße zu beobachten sind.
Den Künstler interessiert genau der Moment des In-sich-versunken-seins, wenn man sich unbeobachtet glaubt.
Wir sehen diese Menschen nun als Gemälde vor uns und können sie ungestört betrachten.
Nun sind wir die Voyeure und können uns Fragen über diese anonymen Personen stellen.
Durch die Realitätsebene, die Martin Sander mit seinen Menschenbildern erschaffen hat, werden wir zum Betrachten von Menschen verleitet,
die wir, ohne seine Kunst, vielleicht weder wahrgenommen noch beachtet hätten:
Die Frau, deren ganze Aufmerksamkeit ihrem Smartphone gilt, obwohl sie einen Kinderwagen vor sich herschiebt und ihr Blick daher nach vorne gerichtet sein könnte….
Oder die beiden nebeneinander hergehenden Frauen mit gefärbten kurzen Haaren, oder der junge Mann, der sicherlich ein Anhänger des Kraftsports ist.
Der Herr mit dem Bauch, der weiße Frotteesocken in Trekking-Sandalen trägt.
Ganz von selbst tauchen Gedanken in meinem Kopf auf, die sich um diese mir völlig unbekannten Personen kreisen:
es berührt mich seltsam, denn sowohl ihre Figur, und die Körperhaltung, als auch ihre Art sich zu kleiden verrät einen Teil ihrer Geschichte:
warum er wohl diese zu eng sitzende und zu kurze Hose oder jener dieses gemusterte Hemd zu Bermudas gewählt hat?
Vielleicht um etwas zu kaschieren, was aber so erst recht betont wird?
Wir schmunzeln innerlich, denn Menschen hat jeder von uns schon im Vorbeigehen oder im Café sitzend beobachtet, vielleicht in Gedanken gelästert,
– niemals, — ich weiß –
und im nächsten Augenblick wieder vergessen.
Weil die Situation uns so banal erscheint, denn sie ist alltäglich.
Doch den Künstler interessiert genau das:
das Verhalten in unbeobachteten Augenblicken:
offen, direkt, ungekünstelt.
Diese Atmosphäre….
im Café zu sitzen und „Leute zu gucken“,
wird dadurch hervorgerufen, dass sich viele der Personen fortbewegen. Sie scheinen unmittelbar im Raum hin und her zu gehen.
Betont durch die besondere Art der Hängung, in Reihen übereinander, entsteht die Idee von Passanten, die wir im Vorübergehen betrachten.
Martin Sander schöpft aus diesem unerschöpflichen Repertoire, aus diesem unendlichen Pool von alltäglichen Situationen und setzt diese in Malerei um.
Den Jungen, mit dem angesagten Haarschnitt, der irgendwo steht und nur Augen für sein Smartphone hat, meinen wir von irgendwoher zu kennen, so vertraut ist er uns.
Er wird zu einem Synonym für viele, seiner Generation, die in dieser Art an irgendeiner Straßenecke herumstehen und ihre Umgebung völlig auszublenden scheinen.
So gesehen entsteht durch die Serie „Menschenbilder“ ein Zeit-Zeugnis.
Sie sind nicht zeitlos, denn sie bilden die Zeitgenossen der Jetztzeit ab. Es sind die Leute von heute, die wir hier an den Wänden versammelt sehen.
Wenn wir diese Bilder in zehn Jahren betrachten, werden wir vielleicht sagen: Damals, 2017 waren Leggings in, oder die Jugendlichen trugen diese Frisur und genau diese Art Turnschuhe.
Auf die urbane Umgebung, die Martin Sander lange als Thema in seiner Malerei beschäftigte, wurde hier bewusst verzichtet.
Die „Menschenbilder“ sind als Gegenpart zu den menschenleeren Straßenszenen oder Waldstücken, die 2016 ein auch großformatiges Thema in seiner Malerei waren, in den Fokus seines künstlerischen Schaffens getreten.
Die Portraitierten sind in derart lockerem und leichtem Farbauftrag gemalt, fast skizzenhaft, bisweilen an Aquarellmalerei erinnernd.
Dennoch handelt es sich um Ölmalerei auf Leinwand, die nach fotografierten Schnappschüssen aus großer Distanz, später im Atelier entstanden sind.
Im Flur hängt dieses Bild im Bild:
Martins Drucker, der den Fotoausschnitt in Vergrößerung ausdruckt, den er dann nochmal vergrößert auf die Leinwand überträgt.
Mitten unter den Anonymen ist ein Vertrauter auszumachen: ein Selbstportrait des Künstlers,
der sich unter die Leute mischt Er wirkt sehr gelassen und ein wenig zurückhaltend, denn er lässt den Ausstellungstrubel auf sich wirken.
Und: hier drinnen darf er sogar rauchen, aber natürlich nur in der Malerei!
Sein bisher einziges, noch nie vorher gezeigtes Selbstporträt als Ganzfigur!
Den Gegenpool zu diesem dynamischen Teil der Präsentation, bildet das überlebensgroße, mehrteilige Frauenportrait vis à vis. Die junge, dunkelhaarige Frau liegt auf einem spiegelglatten Untergrund, welcher die Farben ihrer Bluse oder Jeans reflektiert, als sei es eine Wasseroberfläche.
Dieses ungewöhnliche Ganzfiguren-Portrait, beeindruckt zum Einen durch seine enorme Größe, zum anderen durch die lockere Entspanntheit, welche die junge Frau ausstrahlt.
Ebenso geht es mir mit dem Frauenportrait „Yvonne“, an der Flurseite.
Die Leichtigkeit der Darstellung fällt besonders dort auf, wo Martin Sander ihr blondes, lockiges Haar wiedergegeben hat:
Die Locken sind kaum ausgeführt.
Sähe man nur diese Partie als Ausschnitt, könnte man es für abstrakte Malerei halten.
Es sind Porträts, die die dargestellte Person weder idealisieren, noch gekünstelt,
extra für diesen Moment, dieses Foto zurechtgemacht, abbilden.
Die Darstellung ist natürlich, sie fühlen sich wohl in ihren Kleidern und in ihrer Haut obwohl die Situation, porträtiert zu werden ja nicht so ganz alltäglich ist.
Constanze Albecker-Gänser M.A.
Kunsthistorikerin
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